Die Forschungsstelle Kulturökologie und Literaturdidaktik hat es sich zum Ziel gesetzt, Bildung für nachhaltige Entwicklung nicht länger als alleinige Aufgabe naturwissenschaftlicher Wahlfächer zu betrachten, sondern auch im zentralen Fach Deutsch und – dafür grundlegend – in der Deutschlehrerausbildung zu verankern.  Geht man mit Axel Goodbody davon aus, dass „Natur und Umwelt […] kulturell bedingte Konstrukte“ sind und folgt man Leubner/Saupe in der Annahme, dass „fiktionale/künstlerisch gestaltete Erzählungen […] Sichtweisen nahe legen, in denen (scheinbar) Bekanntes der Innen- und Außenwelt neu oder jedenfalls differenzierter erscheint als zuvor“, scheint es defizitär, dass das Potential Literatur und Medien für die Förderung von Gestaltungskompetenz und Nachhaltigkeitsbewusstsein bislang noch kaum erforscht und genutzt worden ist. Um diese Lücke zu schließen und „vom Projekt zur Struktur“ zu kommen, wie es Gerhard de Haan in puncto Nachhaltigkeit fordert, bietet das Team der Forschungsstelle verschiedene Bildungsformate an:

  1. Seminare mit kulturökologischem Schwerpunkt im Fachstudium sowie Betreuung daraus resultierender Seminararbeiten, Prüfungen und Praktika in Schulen und anderen Einrichtungen der Kinder- und Jugendarbeit.
  2. Fortbildungen für im Beruf stehende Lehrkräfte und Personen aus dem vor- und außerschulischen Bildungswesen durch entsprechende Veranstaltungen und Bereitstellung von Materialien.
  3. Projekte im Bereich Natur, Kultur und Umwelt und entsprechende Informationen durch Aufbau einer Datenbank.
  4. Vernetzung von Institutionen und Interessenten, Einbindung bereits bestehender Ressourcen des Bildungswesens durch Mitwirkung an DFG-Netzwerken.
  5.  Öffentlichkeitsarbeit, um die Möglichkeiten und Ergebnisse gesellschaftlich durch geeignete Informationsmaterialien und Veranstaltungen (z.B. Vorträge, Diskussionen, Kongresse) nutzbar zu machen.
  6. Diese Konzepte und Ideen konnten letztlich nicht nur den Fakultätsrat der Universität Siegen, sondern auch die UNESCO-Kommission überzeugen, sodass die Forschungsstelle kurz nach ihrer offiziellen Gründung im Mai 2012 bereits im August 2012 als Dekadeprojekt der Weltdekade für BNE ausgezeichnet wurde.

Das Schwerpunktthema Mobilität aus kulturökologischer Perspektive
Während faktuale Diskussionen um eine „nachhaltige“ Perspektive von Mobilität oftmals von Paradoxien und Zieldiffusionen geprägt sind, die, wie am Beispiel Biosprit deutlich wurde,  eher zu Verunsicherung und einem Festhalten am Status quo führen, bietet sich in fiktiven Erfahrungsräumen die Möglichkeit „das Neue als komplettes System darstellen [zu] können, um sein Funktionieren begreifbar zu machen und so die Zustimmung der Menschen zu einer Veränderung zu bekommen.“ (Dirk Fleck)  So wie Science Fiction Autoren der Vergangenheit (z.B. Jule Verne) in der Literatur Fortbewegungsarten vorweggenommen haben, die heute zur Alltagsrealität gehören, finden sich auch in aktuellen Erzählungen verschiedene Mobilitätskonzepte, deren nachhaltige Zukunftsfähigkeit auf verschiedenen Ebenen zu hinterfragen ist. Wenn die tatsächliche Umsetzung innovativer Ideen „nicht nur von der technischen Entwicklung […], sondern genauso oder vielleicht noch mehr von den kulturellen Bedeutungszuschreibungen“ (Günter Burkart) abhängt, lässt sich aus kulturökologischer Perspektive untersuchen, a) welche nachhaltigen Mobilitätskonzepte in fiktiven Gegenwartsanalysen oder Zukunftsszenarien entworfen werden, b) wie sich Identifikationsfiguren oder Gesellschaftssysteme ihnen gegenüber positionieren, c) welche diskursive Funktion ihnen zukommt und d) in welchen Bereichen die Weiterentwicklung gegenwärtiger technischer Standards zumindest als Science fiction bereits vorangetrieben wird.
So ist zu beobachten, dass in dystopischen Entwürfen, in denen Umweltschutz zur obersten politischen Maxime geworden ist, Mobilität per se verurteilt wird. In Dirk Flecks GO! Die Ökodiktatur. herrscht beispielsweise strenges Reise- und Autoverbot und Gesetzesbrecher werden bis zur Ohnmacht in eine sich langsam mit Abgasen füllende Karosserie eingeschlossen.  Weniger radikal, aber nicht minder konsequent wirkt sich die Energierationierung in Saci Lloyds Euer schönes Leben kotzt mich an! auf das Mobilitätsverhalten der Bevölkerung aus. Reisen wird von der Selbstverständlichkeit zum Luxusgut und schließlich zur unverantwortlichen Umweltsünde, das teure Auto vom Statussymbol zum Schmähobjekt. Im Gegensatz dazu verbinden Utopien in der Tradition von Callenbachs Ökotopia eine nachhaltige Entwicklung mit technischem Fortschritt.  Ließ Callenbach seinen Protagonisten William Weston noch über Magnetbahnen und batteriebetriebene Busse staunen, sind in Dirk Flecks Das Tahiti-Projekt Reva Taes ebenso selbstverständlich geworden wie Solarluftschiffe und zentrale Autopools in Anja Stürzers Somniavero. Und der durch flinc oder caribo gegenwärtig zu beobachtende neue Trend zur Nutzung von Mitfahrgelegenheiten ist in Katja Brandis Schatten des Dschungels insofern weiter zentralisiert, als Autofahrern pro transportiertem Anhalter direkt Mobilitätspunkte über IdentiCards gutgeschrieben werden. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass in fiktiven Szenarien sehr unterschiedliche Mobilitätszukünfte entworfen werden, die auf der Grundlage kulturökologischer Fragestellungen facettenreiche Perspektiven eröffnen.
(Text: Dr. Elisabeth Hollerweger)

Kontakt:
Forschungsstelle Kulturökologie und Literaturdidaktik
Philosophische Fakultät
Universität Siegen
Adolf-Reichwein-Str. 2
57076 Siegen
www.uni-siegen.de/phil/kulturoekologie/
Mail: hollerweger@germanistik.uni-siegen.de

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